Die Südostbahn setzt gleich auf zwei Verwaltungsräte aus der IT-Branche. Die Digitalkompetenz in der Bahnbranche wird immer wichtiger – dies nach etlichen verschlafenen Jahren.
Verkehrs Monitor, Gregor Poletti im Interview mit Erik Wirz
Was sucht der Gründer eines erfolgreichen Medizinal-Startups im Verwaltungsrat eines Bahnunternehmens?
Für Benedikt Würth, Verwaltungsratspräsident der Südostbahnen (SOB) und Mitte-Ständerat, ist das ein Zeichen dafür, dass das Thema Digitalisierung nun auch auf der strategischen Ebene immer wichtiger wird. Deshalb soll Tobias Wolf, der mit seinem Unternehmen Online Doktor AG inzwischen über 700 Fachärzte in der Schweiz, Deutschland und Österreich zu seinen Kunden zählt, den Verwaltungsrat der SOB verstärken. Gleichzeitig zur Wahl steht Sandra Tobler, die mit ihrer Firma Futurae Technologies die Cybersicherheit von Unternehmen verbessert.
«Einerseits wollen wir die digitale Transformation damit forcieren, weil wir den Anspruch haben, nicht einfach last follower zu sein, sondern innovativ voran zu gehen», erläutert Würth auf Anfrage des VerkehrsMonitors. Andererseits werde die IT-Sicherheit zunehmend wichtiger, schliesslich würden Bahnen kritische Infrastrukturen betreiben
Auch die BLS schlägt der Generalversammlung vom 14. Mai mit Martin Pfund einen typischen Vertreter aus der IT-Branche vor: Er bringt langjährige Expertise in der Informatik mit und ist seit 2017 Departementsleiter ICT/CIO und Mitglied der Geschäftsleitung des Kantonsspitals Graubünden.
Derart explizite Vertreter aus dem Digitalbereich gibt es aktuell in den Verwaltungsräten von Bahnen erst wenige. Oft dominieren noch Ökonomen, Juristen, Ingenieure oder Politiker diese Körperschaften. Die Wichtigkeit der digitalen Transformation sei noch nicht in der ganzen Branche angekommen, analysiert Würth. Dem pflichtet auch Erik Wirz bei, ein renommierter Headhunter, der im Auftrag von Unternehmen Top-Manager und Verwaltungsräte sucht, oft auch für die Mobilitätsbranche: «Da haben viele Unternehmen auch im Verkehrsbereich in der Vergangenheit gesündigt.» Dies obwohl eine hohe Digitalkompetenz gerade im Dienstleistungssektor von enormer Wichtigkeit sei.
Auch der Verwaltungsrat des grössten Schweizer Bahnunternehmens, den SBB, weist keinen einzigen direkten Vertreter der IT-Branche auf, es sind Ökonomen wie Präsidentin Monika Ribar und Andreas Herzog oder Ingenieure wie der Vizepräsident Pierre-Alain Urech und Thomas C. Ahlburg, welche das Gremium dominieren. Das müsse nicht zwingend ein Zeichen dafür sein, dass der Digitalisierung in einem Unternehmen zu wenig Beachtung eingeräumt werde, sagt Wirz.
Natürlich sei für die Wahl der Strategie formell der Verwaltungsrat zuständig, relativiert auch Bruno Gehrig, ehemaliger Professor an der Universität St. Gallen und Vizepräsident der Nationalbank und vielfacher Verwaltungsrat in einem Aufsatz für die «NZZ»: «Aber woher erhält der Verwaltungsrat die Informationen? Ehrlicherweise zu 90 Prozent vom Firmenchef und von seiner Geschäftsleitung.» Deshalb komme der Wahl der Geschäftsleitung besondere Bedeutung zu.
Was Digitalkompetenz betrifft, hat der SBB-Verwaltungsrat mit dem 2020 eingesetzten CEO Vincent Ducrot auf eine erfahrene Person gesetzt: Ducrot studierte an der ETH Lausanne Elektroingenieur mit dem Schwerpunkt Informatik und startete seine Laufbahn denn auch als Informatiker in verschiedenen Anstellungen in der Schweiz und im Ausland (Europa und USA).
«Wir investieren aktuell grosse Summen in wichtige Digitalisierungsprojekte im Kerngeschäft der Bahn.» Vincent Ducrot, SBB-Chef
Mit Vehemenz reagierte er erst kürzlich im ausführlichen Interview mit dem VerkehrsMonitor auf die Behauptung, die Digitalisierung sei auf seiner Prioritätenliste recht tief angesetzt: «Das stimmt nicht, ganz im Gegenteil. Wir haben letztes Jahr die automatische Bremsprobe eingeführt, entwickeln die digitale automatische Kupplung für den Güterverkehr und haben vor kurzem einen ferngesteuerten Zug präsentiert. Zudem investieren wir aktuell grosse Summen in wichtige Digitalisierungsprojekte im Kerngeschäft der Bahn, von denen man von Aussen nicht viel mitkriegt.»
Dass Bahnunternehmen wie die SOB auf Verwaltungsräte setzt, die direkt aus der IT-Branche kommen, drängt sich für Headhunter Wirz noch aus einen anderen Grund auf: «Damit soll auch eine gewisse Strahlkraft für die Rekrutierung von Digitalexperten auf dem Arbeitsmarkt erzielt werden nach dem Motto: Seht her, unser Unternehmen besetzt sogar den Verwaltungsrat mit IT-Fachleuten. Ihr könnt davon ausgehen, dass euer Wissen gefragt und entsprechend honoriert wird.»
So ist etwa Tobias Wolf ein bekannter und hoch dekorierter Fachmann: Er wurde von der Bilanz, Handelszeitung, PME und Digitalswitzerland als «Digital Shaper 2021» gekürt und damit unter die 100 wichtigsten Köpfe der Schweiz gewählt, welche die Digitalisierung im Land vorantreiben.
Gregor Poletti ist Redaktionsleiter des Verkehrs Monitors. Er ist seit über 30 Jahren in verschiedenen Funktionen im Inlandjournalismus tätig mit Schwerpunkt Verkehr und Gesellschaftspolitik.